Industrie 4.0: Die Chancen der Digitalisierung für den Mittelstand
Sie sind überall um uns: Die unsichtbaren Nullen und Einsen, die uns telefonieren, E-Mails schreiben oder im Internet surfen lassen. Inzwischen reden auf diese Weise nicht mehr nur Menschen miteinander, sondern auch Maschinen. Für die Wirtschaft bringt diese Entwicklung große Veränderungen mit sich. 2011 rief die Bundesregierung das Zeitalter der „Industrie 4.0“ aus: Intelligente Systeme sind durch Informationen vernetzt und reagieren aufeinander. Der deutsche Mittelstand steht vor neuen Herausforderungen und muss Entscheidungen treffen.
Zu Beginn der Industrialisierung feierte man die Erfindung der Dampfmaschine. Später erleichterten Fließbänder die Produktion. Schließlich übernahmen Computer die Berechnungen vieler Prozesse. Heute, in der Industrie 4.0, dreht sich alles um Vernetzung: Maschinen erkennen sich gegenseitig und kommunizieren miteinander. Dynamische Informationsnetzwerke („Clouds“) speichern immer größer werdende Datenmengen. Und der Mensch kann über verschiedene Dienste – z.B. Apps – auf diese Daten zugreifen und sie austauschen. So lässt sich beispielsweise die Lagertechnik optimieren oder die Fertigung effizienter gestalten. Auch im Mittelstand eröffnet die Digitalisierung viele Möglichkeiten für Einsparungen und Innovationen.
Industrie 4.0 im Mittelstand noch nicht angekommen
Ein Großteil der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) zeigt noch wenig Bereitschaft, die technologischen Fortschritte in den eigenen Wertschöpfungsprozess zu integrieren. Laut einer Umfrage der Expense Reduction Analysts von August 2015 sehen zwei Drittel der 300 befragten europäischen Mittelständler keinen erhöhten Wettbewerbsdruck durch die Industrie 4.0. Die Deloitte-Studie Digitalisierung im Mittelstand nahm schon 2013 ein ähnliches Stimmungsbild auf: Nur ein Viertel der Unternehmen hat bisher in die Digitalisierung investiert, obwohl über drei Viertel von ihnen den Trend als strategisch relevant einschätzten.
Das Zögern lässt sich leicht als Furcht vor unbekanntem Terrain deuten. Eine Umfrage von Ernst & Young und Bitkom ergab, dass zwei Drittel der Unternehmen sich von Investitionskosten abschrecken lassen. Die Hälfte von ihnen klagt über Unsicherheit wegen fehlender einheitlicher Standards in der Informationstechnologie. Außerdem brauche es für die Digitalisierung auch Programmierer, Maschinenbauer und Elektrotechniker, die im wachsenden Wettbewerb um Fachkräfte schwer zu bekommen sind.
Schlaue Fabriken sparen Kosten
Dabei bieten die neuen Technologien dem Mittelstand große Chancen, seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Er kann damit vor allem betriebsinterne Prozesse effizienter gestalten, den Kunden-Service optimieren und neue digitale Geschäftsmodelle anbieten.
Gerade im internationalen Markt spüren viele Unternehmen einen hohen Kostendruck, den die Einsparungen der Industrie 4.0 senken können: Wenn man Prozess- und Materialdaten gezielt sammelt und auswertet, gibt es z.B. weniger Ausschuss. Auch die Effizienz in der Fertigung steigt, sobald Produktionsanlagen digital eingebunden sind: Sie lassen sich damit besser auslasten und gezielter ansteuern.
In der Logistik automatisieren die Technologien typische Prozesse, die bisher manuell ausgeführt werden mussten. Im Lager führt die Vernetzung der Daten dazu, dass sich die Produktion genauer planen und steuern lässt – und der Mittelstand mit wesentlich geringerem Bestand trotzdem flexibel agieren kann. Weil vernetzte Maschinen ihren Zustand selbstständig melden, können die Servicemitarbeiter auch Wartung und Instandhaltung effizienter gestalten. Sie erkennen z.B. durch Augmented-Reality-Lösungen auf ihrem Tablet Fehler oder finden defekte Maschinen schneller. Die Informationstechnologie ermöglicht außerdem, dass Unternehmen oder Standorte miteinander kommunizieren und so zu einer virtuellen „Smart Factory“ verschmelzen.
Jeder Kunde ist König
Kunden digitalisierter Unternehmen profitieren besonders von der Vernetzung: Die Lieferzeiten verkürzen sich und die Produktion wird flexibler. Weil sie schon bei der Herstellung ständig überprüft werden, steigt die durchschnittliche Qualität der Fabrikate. Durch die Datensammlung an allen Stellen gibt es mehr Informationen über jedes Produkt, das sich so auf für die individuellen Kundenbedürfnisse zuschneiden lässt und die Angebotspalette insgesamt erweitert.
Das Ergebnis sind „Smart Products“ mit digitalem Gedächtnis. Sie enthalten Informationen über ihre Zusammensetzung, also die Bauteile und den Zustand. Dadurch kann man sie nach der Nutzungsphase fachgerecht entsorgen. Diese Produkte sind tendenziell über den gesamten Lebenszyklus gesehen nachhaltiger, weil bereits ihre Herstellung durch gezielte Effizienzmaßnahmen weniger Energie und Ressourcen verbraucht.
Dennoch hat auch die Industrialisierung 4.0 ihre Kehrseiten. Vernetzte Systeme sind risikoanfällig, z.B. für Hackerangriffe und Industriespionage. Sie brauchen entsprechend starke und moderne Verschlüsselungstechniken. Außerdem erfordert die Digitalisierung vom Arbeitsmarkt hochqualifizierte Fachkräfte – etwa 430.000 neue Arbeitsplätze könnten so geschaffen werden. Wissenschaftler des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung gehen jedoch davon aus, dass zahlreiche Fabrikarbeiter durch Roboter und Computer ersetzt und so rund 490.000 Stellen abgebaut werden.
Beratung und Finanzierung
Bei der Transformation ins digitale Zeitalter unterstützen verschiedene Einrichtungen, z.B. das Bundeswirtschaftsministerium. Unter dem Dach seiner Initiative Mittelstand 4.0 – Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse übersetzen verschiedene Agenturen zu Themen wie Prozesse, Cloud, Handel oder Kommunikation aktuelles, praxisrelevantes Digitalisierungswissen der Industrie 4.0 für den Mittelstand.
Die Industrie 4.0 macht Informationen jederzeit und überall mit besserer Qualität als bisher zugänglich. Damit eröffnet sie Chancen für alle Teile der Wertschöpfungskette. Strukturierte und aufbereitete Informationen geben auch strategischen Entscheidungen ein besseres Fundament. Manager erkennen z.B. leichter neue Marktchancen und Vertriebswege durch die Auswertung von Kundendaten. Wer sein Angebot digitalisiert, erleichtert es außerdem seinen Kunden raum- und zeitunabhängig darauf zuzugreifen.
Die Digitalisierung geht an kaum einem Unternehmen vorbei – selbst die Landwirtschaft setzt zunehmend auf Technologien wie Bodensensoren, etwa um die nötige Düngermenge exakt zu dosieren. Die Frage für Mittelständler lautet also weniger, ob man in die Industrialisierung 4.0 investiert, sondern wann und wie. Dafür stehen nicht zuletzt auch digitale Finanzierungsmodelle zur Verfügung. Beim Crowdinvesting nutzen Firmen die Finanzkraft des Schwarms. Dadurch erhalten sie Mittel für ihre Vorhaben und treten gleichzeitig mit ihren Investoren und potenziellen Kunden in Dialog. So entwickeln sich aus Nullen und Einsen nicht nur schwarze Zahlen, sondern auch echte Unterstützer und Multiplikatoren.
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